Neuigkeiten

09.12.2016
Raritätenbrief Spielzeit 2017

Liebe Opernfreunde im Richard-Wagner-Verband,

etwas später als sonst meldet sich Ihr Raritätenjäger zu Wort, denn die meisten Raritäten dieser Spielzeit stehen erst 2017 auf dem Programm. Wir haben wieder eine interessante Auswahl getroffen. Neben etlichen Repertoireopern, auf die hier nicht eingegangen werden soll, finden sich auch 9 Opern, die selten oder nicht regelmäßig in den Spielplänen erscheinen, darunter vier deutsche.

Den Anfang macht „Der Barbier von Bagdad“ von Peter Cornelius (Gießen, 10.02.2017). Diese hübsche Oper aus 1001 Nacht mit ihrem orientalischen Flair entstand in einer Zeit, in der Richard Wagners Stern bereits aufgegangen war. Entsprechend verfeinert ist die musikalische Sprache des Werkes. Das Gießener Theater, das uns noch nie enttäuschte, wird ihm gewiss mit einer guten, durchdachten Inszenierung gerecht werden.

Nur acht Jahre älter als diese Oper ist Robert Schumanns einzige wirkliche Oper „Genoveva“ (Mannheim, 30.06.2017). Sie ist schwerblütiger; man merkt es ihr an, dass Schumann, der Meister des Liedes, der Klaviermusik und der Sinfonik, sich mit der dramatischen Musik schwer tat, dass er sich dieses Werk geradezu abringen musste. Gerade die dramatischen Stellen wirken schwächlich, aber es finden sich in dieser Oper, die es von Anfang an schwer hatte, auf die Bühnen zu kommen, schöne lyrische Szenen, derentwillen sich eine Wiederbegegnung mit dem Werk lohnt.

Vor fünf Jahren sahen wir Franz Schrekers „Der ferne Klang“ in Nürnberg und waren berauscht von dem Klanggewand dieser Oper. Auch „Der Schatzgräber“, den wir 2003 in Frankfurt erleben durften, hat uns überzeugt. Nun haben wir die Gelegenheit, das seinerzeit geradezu sensationell einschlagende musikalische Kleeblatt zu vervollständigen mit Schrekers Hauptwerk „Die Gezeichneten“ (München, 07.07.2017). Schreker huldigte einem stark erotisch gefärbten Symbolismus, der in der Musik zu ungeheuren Klangentfaltungen führte. Die Hauptfigur seiner selbst librettierten „Gezeichneten“ ist der genuesische Edelmann Alviano Salvago, der verkrüppelt und hässlich, aber durch seinen Reichtum in der Lage ist, eine Liebesinsel für junge reiche Leute zu schaffen. Auf dieser findet ein wüstes Treiben statt, so dass die Polizei einschreitet. Auch Salvago selbst hat inzwischen ein Mädchen gefunden, das ihn aufrichtig zu lieben scheint. Aber es brennt ausgerechnet auf seiner Liebesinsel mit einem anderen Verehrer durch. Der rasende Salvago ersticht schließlich diesen Liebhaber und verfällt selbst dem Wahnsinn.

Um Paul Hindemith ist es in der letzten Zeit sehr ruhig geworden. Er war einer der Begründer der deutschen Moderne. Anfangs pflegte er einen radikal modernen Stil, später wandelte sich dieser zugunsten des Mystisch-Religiösen wie in seinem Hauptwerk „Mathis der Maler“ (Mainz, 02.04.2017), das er auch librettierte. Dass dieses große Künstlerdrama um den Schöpfer des Isenheimer Altars Matthias Grünewald heutzutage so selten aufgeführt wird, liegt sicher daran, dass das umfangreiche Werk teilweise einem Oratorium nahe kommt und teilweise auch etwas widersprüchlich wirkt. Für uns ist es eine seltene Möglichkeit, die Oper, die bei den Nationalsozialisten als entartete Kunst eingestuft wurde, einmal kennen zu lernen.

Wenn Sie bei Ihrer Opernwahl mehr die Schönheit und Kraft der eindringlichen Melodien suchen, so sind Sie bei den von uns ausgesuchten italienischen Opern auf der richtigen Spur. Der junge Giuseppe Verdi hat über seine neunte Oper „Attila“ (Nürnberg, 09.07.2017) ein wahres Füllhorn an Melodien ausgeschüttet, so dass wir fast an das Melodienwunder des „Troubadour“ erinnert werden. Aber auch in der Kunst der Instrumentierung und in der Tonmalerei ist der junge Verdi hier bereits auf einem erstaunlichen Niveau angelangt. Das zeigt die bemerkenswerte Szene des Sonnenaufgangs mit den Stimmen von Flüchtlingen am Anfang des 2. Aktes und die subtile Begleitung der Romanze der Odabella. Übrigens gehört das Werk zu denjenigen Risorgimento-Opern, mit denen Verdi – vielleicht unbewusst – seine Landsleute aufzurütteln wusste. Lange war „Attila“ von den Bühnen verschwunden, doch heute hat er bereits einen Randplatz des Repertoires wiedererobert. Gespannt dürfen wir sein, wie der umstrittene Peter Konwitschny diese Oper inszenieren wird.

Eine Oper, die seit ihrer Uraufführung im Jahr 1896 im Repertoire steht, aber dennoch selten aufgeführt wird, ist Umberto Giordanos Revolutionsoper „André Chénier“ (München, 30.03.2017). Das liegt einerseits an ihrer packenden Handlung und der dramatischen Musik, andererseits an den hohen Anforderungen, die sie an die Interpreten stellt. Wir konnten die Oper 2002 in Ulm und 2008 in Meiningen sehen und waren jeweils hingerissen. Die blühende Melodik des Werkes aus dem Umfeld des Verismo ist auch durch Puccini nicht übertroffen worden. Das Mitwirken von Jonas Kaufmann und Anja Harteros sollte Gewähr für eine wiederum begeisternde Aufführung sein.

Francesco Cilea war ein Zeitgenosse Puccinis und vertrat eine verfeinerte Form des Verismo. Sein Hauptwerk "Adriana Lecouvreur“ (Karlsruhe, 23.04.2017) fand einen Stammplatz im italienischen Repertoire, hatte es aber äußerst schwer, sich in Deutschland Gehör zu verschaffen. Die Handlung dreht sich um den Grafen Moritz von Sachsen, der die Schauspielerin Adriana Lecouvreur liebt und darüber seine frühere Geliebte, die Fürstin Bouillon vergessen hat. Diese rächt sich schließlich an ihrer Rivalin durch einen mit tödlichem Gift getränkten Veilchenstrauß. Die Musik Cileas ist leidenschaftlich, schwingt sich aber immer wieder zu herrlichen Lyrismen auf. Mit dem Richard-Wagner-Verband konnten wir diese Oper zuletzt 2004 in Erfurt miterleben.

Die französische Oper ist nach Opéra comique und Grand Opéra der letzten Spielzeit mit der Opéra lyrique vertreten. George Bizets Oper „Die Perlenfischer“ (Kaiserslautern, 04.03.2017) krankt an der Handlung, aber die Musik gleicht alles aus. Bizet war ein Meister des Kolorits. Die Arie des Nadir und das Freundschaftsduett Nadir – Zurga fehlen in keinem Programm der Rundfunk-Klassik-Sendeanstalten. Auch die Arie der Leila und das Duett Leila – Nadir haben Ohrwurmqualitäten. Allein wegen dieser Stücke taucht die ganze Oper immer wieder einmal auf. Die Musiksprache des Werkes ist weniger französisch als orientalisch mit Tendenzen zur Belcanto-Oper.

Charles Gounods Oper „Romeo und Julia“ (Erfurt, 10.06.2017) kann man mit Fug und Recht als die Oper der Liebe nennen. Nicht weniger als vier Liebesduette finden sich in diesem Werk, das auch sonst überwiegend lyrisch ist. In Deutschland ist es selten zu sehen; in Frankreich jedoch wird es sogar dem „Faust“ vorgezogen. Der Richard-Wagner-Verband besuchte Aufführungen in Zürich (1995) und Augsburg (2005), die beide sehr beeindruckten.

Damit habe ich die Opernraritäten vorgestellt, die wir besuchen werden. Sie haben nun die Wahl. Ich würde mich freuen, mit Ihnen diese Aufführungen zu sehen.

Ihr Helmut Müller